Michele, Rebecca - Miss Emily und der Skandal von Allerby House Abschnitt 5

RebeccaM schrieb:

Zabou1964 schrieb:

Die Annäherung zwischen Emily und Cranleigh finde ich sehr aufregend. Als Gattin eines Geistlichen kann ich sie mir aber auch nicht vorstellen. Ich hoffe, wir erfahren noch mehr über Cranleighs Vergangenheit. Seinen Beruf als Vikar scheint er jedenfalls weniger aus Berufung als aus einer Not heraus gewählt zu haben. Könnte er denn so einfach seinen Dienst quittieren? Dem Zölibat scheint er ja nicht unterworfen zu sein. Mir kommt bei den Szenen immer die Serie "Dornenvögel" in den Sinn. Die kennst du sicher auch?




 

Die Dornenvögel habe ich damals natürlich auch "gesuchtet" , gleich das Buch gekauft und verschlungen. Seitdem habe ich Buch und Serie mehrmals wieder gelesen und gesehen. Nicht nur wegen des "schönen" Pater Ralph, die Geschichte ist einfach genial - eben, weil es kein klassisches Happy End gibt. 
Pater Ralph ist aber ein katholischer Priester, Cranleigh ein Geistlicher der anglikanischen Kirche - "Church of England". Diese ist eher der protestantischen Kirche angelehnt, heißt, es gibt kein Zölibat, im Gegenteil! Englische Pfarrer sind sogar angehalten, zu heiraten. Früher waren sogenannte wilde Ehen natürlich tabu (das waren sie aber in allen Gesellschaftsschichten), heute leben englische Pfarrer durchaus auch unverheiratet mit Frauen und auch Männern zusammen und sie haben Kinder. Heute dürfen sie sogar gleichgeschlechtlich heiraten. Erst kürzlich las ich einen Bericht über einen Vikar, der einem Mann geheiratet hat - mit großer Zustimmung seiner Gemeinde! Eine Weihe zum Priester erfolgt nicht. Bei den Katholen verzichten die Männer dann auf alle weltlichen Güter und legen das Zölibat ab. Ein anglikanischer Pfarrer kann durchaus auch Vermögen besitzen und sogar eigene Geschäfte tätigen, sofern es seiner Aufgabe als Pfarrer nicht widerspricht oder diese beeinträchtigt.
Gerade früher schlugen viele adlige Söhne die Laufbahn in der Kirche ein - wenn es einen älteren Bruder gab, der den den Besitz einmal erben würde -, um versorgt zu sein, denn ein zweiter Sohn erbte nichts. Oder sie gingen zum Militär. 
Ein kurzer geschichtlicher Abriss zur Entstehung der Church of England:
Nachdem sich König Henrich VIII. vom Papst gelöst und sich zum Oberhaupt der englischen Kirche ernannt hat, bleiben alle katholische Riten erhalten. Erst unter Elisabeth I. wurden die Messen in englischer Sprache abgehalten, anstatt wie bisher üblich auf Latein. Unter Elisabeth erschien auch die erste in englischer Sprache gedruckte Bibel.
Die jeweiligen Könige und Königinnen Englands, und später des Vereinigten Königreichs, sind seit dem 16. Jahrhundert das Oberhaupt der Kirche. Über die Jahrhunderte hinweg suchte sich dann jeder Herrscher jeweils das Vorgehen aus, was ihm/ihr am besten gefiel. Mal waren die Riten mehr katholisch, mal waren sie protestantisch. Auch heute gibt es noch die Beichte im Beichtstuhl, was die Protestanten nicht machen, auch die Bezeichnung Vicar (auf englisch) ist für einen anglikanischen Geistlichen üblich - je nach seiner Stellung. Im deutschsprachigen Raum ist ein Vikar ein Hilfsgeistlicher der katholischen Kirche. Hier habe ich lange überlegt und mit dem Verlag gesprochen, und wir haben uns dazu entschlossen, zwar die deutsche Schreibweise Vikar zu verwenden, aber den richtigen englischen Titel.
Zu der Zeit der Romanhandlung hatten Geistliche sogenannte "Gönner", von denen sie die Pfarreien übertragen bekamen. Im Fall von Cranleigh ist es Alwyn Tremaine. Im ersten Band gibt es eine Passagen, in der Alwyn im sagt, er könne ihm die Pfarrstelle auch wieder nehmen. Das lief zwar über den Bischof, er einem einflussreichen Adligen aber in der Regel folgte. 
Cranleigh kann jederzeit und ohne großen Aufwand sein Amt niederlegen - und eben auch heiraten. Aber Emily als Pfarrersgattin? Das würde dann doch einen großen Einschnitt in ihrer Lebensanschauung bedeuten. 



 

Danke für die ausführliche -Erklärung, Rebecca,

Wir lesen uns spätestens beim nächsten Abenteuer für Emily wieder. Vielleicht sogar zuvor? Anfang des nächsten Jahres wird es eine Leserunde zu einem Roman mit einem völlig anderem Thema und Setting geben, im Frühjahr dann wohl eine wieder zu einem völlig anderem Roman.

Selbstverständlich bin ich auch bei den vorherirgen Leserunden wieder dabei.

Meggie schrieb:

RebeccaM schrieb:

Teilweise bin ich hier sehr ausführlich geworden. Ich hoffe, ihr verzeiht es mir. Sollte es zu lange sein, könnt ihr es ja überfliegen
Besonders, wenn es um historische Themen und vergangene Zeiten geht, ist es mir in Romanen wichtig, dass - bei aller Fantasie - alles korrekt dargestellt wird. Manche Vorgänge sind nicht allen bekannt, besonders in England, wo die Uhren schon immer anders getickt haben als in Deutschland oder der Schweiz.

Das persönlich finde ich am schönsten an Leserunden. Mir kann es nie zu ausführlich sein. Danke dafür, Rebecca. Und vor allem für die Zeit, die du da investierst.
 

Ich finde das auch sehr informativ und spannend.

@Rebecca 

Danke für Deine Ausführungen. Finde ich immer sehr spannend. Habe ja selbst 3 Monate in England gelebt und es geliebt. 
Hatte neben deinem Buch noch ein Rezi Expemplar in einer Leserunde in der Schweiz zum lesen, was ein totaler Flop war. 80 % der Leser waren meiner Meinung und ich habe eine Rezi mit 1 Sterne Bewertung geschrieben. Das ist glaube ich noch selten vorgekommen. Ich habe nur in der Runde angemerkt, dass ich daneben noch ein anderes Buch lese, damit ich nicht in eine Leseflaute falle. Da wurde ich nach dem Titel und der Autorin gefragt und habe natürlich Deinen Namen angegen. Bin gespannt, ob sie etwas von dir lesen werden. 

 

Ich kann mir gut vorstellen, dass es andersherum ebenso verläuft. Nur sind die Männer zu gestrickt, dass sie nicht an die Öffentlichkeit gehen, wenn sie derart über den Tisch gezogen worden sind, daher sind die Fälle weniger bekannt.

ja, da ist die Dunkelziffer auch sehr hoch - egal, ob häusliche Gewalt oder Heiratsschwindelei...
Man hört ja auch oft, dass die Sekretärin den Chef heiratet und sich dann nach einiger Zeit wieder scheiden lässt, um finanziell ausgesorgt zu haben.

Teilweise bin ich hier sehr ausführlich geworden. Ich hoffe, ihr verzeiht es mir. Sollte es zu lange sein, könnt ihr es ja überfliegen

ich finde das auch toll! Das ist das Schöne an Leserunden, man erfährt interessante Hintergrundinfos und kann Wissenslücken schließen!

charlie schrieb:

@Rebecca 

Danke für Deine Ausführungen. Finde ich immer sehr spannend. Habe ja selbst 3 Monate in England gelebt und es geliebt. 

 

Das war mir nicht bewusst, wie wunderbar! Verrätst du mir, wo du gelebt hast?