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Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn
Titel: Der verlorene Sohn
Originaltitel: The lost boy
Verlag: Heyne Verlag
Erschienen: 1. April 2004
ISBN-13: 978-3453873186
Seiten: 320
Einband: Taschenbuch
Serie: Band 2 der Trilogie
Preis: 8,95 €
Autorenportrait:
Quelle: VerlagsseiteDave J. Pelzer, hat sich die Bekämpfung von Kindesmisshandlung unter dem Motto »Hilfe zur Selbsthilfe« zur Lebensaufgabe gemacht. Seit Beendigung seines Dienstes bei der U.S. Air Force unterstützt er die Arbeit verschiedener Kinderschutzorganisationen. Nicht zuletzt durch das detaillierte Offenlegen der eigenen Erfahrungen leistet er einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung für dieses Thema in der ganzen Welt. Dave Palzer lebt mit seiner Frau Marsha, seinem Sohn Stephen und Schildkröte Chuck in Südkalifornien.
Inhaltsangabe:
Quelle: VerlagsseiteAls der zwölfjährige Dave von seiner alkoholkranken Mutter getrennt wird, ist er nur noch ein verstörtes, misshandeltes Bündel aus Haut und Knochen. Für ihn beginnt eine verzweifelte Odyssee durch Heime und Pflegefamilien, bis er schließlich von liebevollen Pflegeeltern aufgenommen wird.
Die erschütternde Fortsetzung des Bestsellers "Sie nannten mich ›Es‹".
Meine Meinung
Während in „Sie nannten mich Es“ die Zeit zwischen Daves vierten und zwölften Lebensjahres beschrieben wurde, widmet er sich in „Der verlorene Sohn“ dem zwölften bis achtzehnten Lebensjahr. Nachdem das komplette erste Kapitel eine Rückblende ist, erzählt Dave im zweiten Kapitel davon, wie er gerettet wird. Im März 1973, als Dave 12 ist, schreiten endlich die Lehrer seiner Schule ein und benachrichtigen die Polizei, die Dave von der Schule abholt und seine Mutter darüber informiert, dass ihr Sohn nicht nach Hause kommen wird. Als der Polizist zu Dave sagt, dass er frei ist und seine Mutter ihn nie wieder verletzen kann, laufen Dave Tränen der Freude über das Gesicht.
So landet Dave in seiner ersten Pflegefamilie. Doch die Angst, seine Mutter könnte ihn wieder zurückholen, lässt ihn nicht los und so wacht er nachts schweißgebadet von den Alpträumen auf. Seine Angst ist sogar so groß, dass er vor Gericht fast nicht gegen seine Mutter aussagt – was bedeutet hätte, dass er wieder zurück gemusst hätte.
Dave fällt es nach all der Zeit schwer, sich richtig anzupassen. Er hat immer das Gefühl, um alles kämpfen und sich vor allen beweisen zu müssen. Nach wie vor stiehlt er und bereitet sich seine größten Probleme selber. Innerhalb eines halben Jahres hat Dave dreimal die Pflegefamilie gewechselt. Was ich nicht so recht verstehen kann: Entweder die Mutter kommt ihn besuchen – nur um ihn weiter zu quälen, in dem sie gar nicht mit ihm spricht oder aber Dave versucht sie (trotz der Verbote) zu sehen. Alle Versuche zu erfahren, warum sie gerade ihn so abgrundtief hasst, verlaufen im Sande. Seine Mutter schweigt wie ein Grab.
Dave entwickelt mit der Zeit eine regelrechte Arbeitssucht. Er selber schreibt: „Manchmal spielte ich nach der Schule auf dem Wohnzimmerboden mit meinen Legos oder mit meinem Stabilbaukasten, ein andermal war ich der kleine Erwachsene, der nach der Schule nur schnell nach Hause kam, um sich umzuziehen, ehe er wieder lossauste – zur Arbeit, in einem meiner diversen Jobs. Erstmals führte ich ein eigenes Leben.“ Man liest also sehr deutlich heraus, dass Dave nicht so recht weiß, wohin er gehört. Zum einen noch kein Erwachsener, aber auch kein Kind mehr. Mit 17 Jahren investiert Dave für eine ganze Reihe von Jobs wöchentlich über 48 Arbeitsstunden zusätzlich zu seiner Schule, in der er aber mittlerweile in einer Klasse für Lernschwache gelandet ist. Ihn bleibt jetzt noch weniger als ein Jahr in einer Pflegefamilie, denn mit 18 wird er sich selber versorgen müssen.
Seine freie Zeit verbringt Dave damit, nach seinem Vater zu suchen. Im Laufe der Jahre hat er bereits Hunderte von Botschaften für ihn in allen Feuerwachen der Stadt hinterlassen. Doch niemals Antwort erhalten. Als er auf einer Feuerwache den besten Freund und Arbeitskollegen seines Vaters sieht, lässt er nicht locker und erfährt, dass sein Vater nicht mehr bei der Feuerwehr arbeitet und seit über einem Jahr arbeitslos ist. Wegen finanzieller Probleme habe er ständig die Wohnung gewechselt und auch als Obdachloser auf der Straße übernachtet. Sein bester Freund ist nun der Alkohol.
Dave macht sich auf den Weg zum Missionsbezirk von San Francisco und findet seinen Vater schließlich zusammengesackt über einem Tisch. In den paar Stunden, in denen die beiden sich sehen, versucht Daves Vater, seinen Sohn davon zu überzeugen, dass es besser wäre zu vergessen, was seine Mutter ihm angetan hat. Für mich absolut unverständlich. Selbst nach all der Zeit schafft Daves Vater es nicht, zu seinem Sohn zu stehen. Wie soll ein Kind vergessen, welche Hölle es durch die eigene Mutter erlebt hat? Zum Schluss zeigt sein Vater ihm seine Dienstmarke und mit einem schwachen Versuch der Erklärung sagt er: „Das ist alles, was ich jetzt noch habe. Das ist eine der wenigen Sachen in meinem Leben, die ich nicht total vermurkst habe. Das kann mir niemand mehr nehmen.“ Er gibt Dave den Rat so weit wie möglich fort zu gehen, um am Ende nicht so dazustehen wie er.
Ein paar Monate später, nachdem Dave seinen High-School-Abschluss nachgemacht und auch eine Reihe von Tests und Hintergrundprüfungen bestanden hat, tritt er voller Stolz in die Dienste der US Air Force. Und plötzlich ruft seine Mutter ihn voller Stolz an und weint am Telefon. Sie habe die ganze Zeit immer nur an ihn gedacht und immer nur sein Bestes gewollt. Aber selbst nach einer Stunde Telefonat hört Dave noch immer nicht das, was er hören möchte und auch hören müsste, um für sich die Sache abschließen und verstehen zu können.
Das Buch endet mit Abflug der Boeing 727 von Kalifornien mit Dave an Bord und in diesem Moment wird ihm bewusst, dass er nicht mehr der verlorene Sohn, sondern ein Mann namens Dave ist …
Der zweite Band der Pelzer-Trilogie ist auf Daves weiteren Lebensweg bezogen genauso fesselnd wie der erste. Doch genau wie Dave, habe ich auch immer vergeblich versucht, an Antworten zu kommen. Ich kann mir vorstellen, wie hilflos und verloren sich Dave vorgekommen sein muss. Immer wieder die Frage im Kopf „Warum ich? Was war der Auslöser?“
Es war für mich genauso schwer zu lesen, wie viel Schwierigkeiten Dave hatte, sich in die „normale“ Gesellschaft einzufügen, wie über die ständigen Misshandlungen seiner Mutter. Er wurde zwar gerettet, aber das Thema Mutter hat ihn all die Zeit nicht losgelassen und er hat ja sogar oft noch den Kontakt zu ihr gesucht. Und jedes Mal kam es mir vor, als ob er sich damit selbst bestrafen wollte. Aber letzten Endes hat Dave allen bewiesen, dass er auf eigenen Füßen stehen kann und der Job bei der Air Force ist der Start in ein neues Leben, von dem er in seinem letzten Band der Trilogie berichten wird.
Im Anhang dieses Buches gibt es noch ein Kapitel „Überlegungen zum Thema Pflegeeltern“. Hier kommt Dave noch einmal zu Wort, aber auch Leute wie seine Pflegemutter Alice, sein Lehrer, sein leitender Bewährungshelfer und auch sein Mentor. Von mir bekommt Daves Buch fünf Sterne.
Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig.
Ernst Reinhold Hauschka
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