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Vigan, Delphine de - Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin
Titel: Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin
Originaltitel: Les heures souterraines
Verlag: Droemer
Erschienen: 10. September 2010
ISBN-10: 342619886X
ISBN-13: 978-3426198865
Seiten: 256
Einband: gebunden
Serie: -
Preis: 18,- €
Autorenportrait:
Quelle: VerlagsseiteDelphine de Vigan wurde 1966 in Paris geboren, wo sie heute noch mit ihren zwei Kindern lebt. Sie arbeitet tagsüber für ein soziologisches Forschungsinstitut und schreibt nachts, wenn alle schlafen, ihre Romane. Ihr dritter Roman, "No & ich", wurde in 11 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet (u. a. 2008 mit dem Prix des Libraires und dem Prix Rotary International). Auch ihr neuester Roman war für den Prix Goncourt nominiert.
Inhaltsangabe:
Quelle: VerlagsseiteHoffen wir nicht alle immer wieder einmal auf eine Begegnung, die unser Leben verändert und zum Guten wendet?
Mathilde hält sich für eine starke Frau, tatkräftig und entschlossen. Sie ist alleinerziehende Mutter von drei wundervollen Jungen, und sie liebt ihre Arbeit. Wozu sollte sie sich eine Veränderung wünschen? Doch die Veränderung kommt. Mathildes Chef beginnt sie zu mobben, immer stärker leidet sie unter der Situation im Büro. Da prophezeit ihr eine Wahrsagerin eine ganz besondere Begegnung, und Mathilde hofft. Doch worauf? Auf das befreiende Gespräch mit ihrem Chef? Auf die Rückkehr ihrer alten Stärke? Oder auf die Begegnung mit einem ganz besonderen Mann? Der prophezeite Tag bricht an ...
Meine Meinung
Delphine de Vigans Roman lässt den Leser ein Stück weit teilhaben am Leben von Thibault, einem Arzt, der seine Freundin verlässt, weil diese ihn nicht genug liebt und Mathilde, stellvertretende Marketingleiterin, die plötzlich von ihrem Chef gemobbt wird. Das Cover passt sehr gut zur Geschichte. Eine Frau in einem türkisfarbenen Kleid dreht dem Betrachter den Rücken zu. Die Farben sind in einem kühlen Ton gehalten.
Erzählt wird die Geschichte von Thibault. Als mobiler Arzt hat er Kontakt mit den unterschiedlichsten Leuten. Er sieht viel Elend und nicht immer kann er helfen. Seine Probleme nimmt er mit nach Hause. Sein größtes Problem jedoch ist seine Beziehung zu Lila. Er liebt sie über alles, aber Lila erwidert seine Gefühle nicht so, wie es in einer normalen Beziehung sein sollte. Er beschließt, sich von Lila zu trennen und teilt ihr diesen Entschluss mit. Seine Hoffnung, sie könnte versuchen, ihn davon abzuhalten, wird durch ihre typische kühle Art zunichte gemacht. Sie bedankt sich für die vergangenen Jahre und verschwindet aus seinem Leben. Delphine de Vigan bringt seine innere Zerrissenheit sehr gut rüber. Thibault balanciert immer wieder zwischen der Erleichterung, diese Quälerei beendet zu haben und dem Wunsch, wieder mit Lila zusammen zu sein.
Durch die Schilderungen von Mathildes Leben, werden die Erzählungen um Thibault etwas in den Hintergrund gedrängt. Aber bereits am Klappentext kann der Leser erkennen, dass es vordergründig um Mathilde geht. Mathilde ist seit langer Zeit Witwe und Mutter von drei Söhnen. Sie ist erfolgreich in ihrem Job und verrichtet ihn auch gerne. Doch als sie ihrem Chef Jacques, mit dem sie sich immer sehr gut verstanden hat, öffentlich in einer Sitzung widerspricht, weil sie anderer Meinung ist, zeigt der seinen wahren Charakter und beginnt, Mathilde zu mobben.
Wichtige Aufgaben werden plötzlich auf andere Mitarbeiter verteilt, Termine zu wichtigen Sitzungen werden ihr vorenthalten. Jacques spricht kein Wort mehr mit ihr und nach und nach ziehen auch ihre Kollegen sich von ihr zurück. Sämtliche Versuche, die Probleme mittels eines Gespräches zu lösen, werden von ihrem Chef sofort abgeblockt.
Von einem Tag auf den anderen ist Mathildes Leben aus den Fugen geraten und die ehemals starke und selbstbewusste Frau ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Der einzige Halt in ihrem Leben sind ihre Kinder. Aber auch sie sind mit der Situation überfordert, weil sei einfach zu jung sind, um zu wissen, wie man mit einer depressiven Person umgeht. Tag für Tag quält sich Mathilde zur Arbeit und muss sich manches Mal übergeben. Die Angst ist jetzt ihr ständiger Begleiter.
In ihrer Not sucht sie eine Wahrsagerin auf, die ihr für den 20. Mai eine besondere Begegnung verspricht. Als sie an diesem besagten Tag zur Arbeit kommt, ist ihr Platz im Büro neu besetzt durch eine Praktikantin und ihr Schreibtisch bereits geräumt. Ihr neues Büro befindet sich am Ende des Gebäudes, angrenzend an die Toiletten. Es besitzt kein Fenster und der Geruch nach den Toilettensprays nimmt ihr fast den Atem. Da der PC noch nicht angeschlossen ist, kann sie erst einmal gar nichts machen.
Sie bittet ihre Personalchefin um Hilfe und diese sagt ihr auch ihre Unterstützung zu. Bei einem Versetzungsgesuch Mathildes legt sie ein gutes Wort für sie ein. Die Firma ist interessiert und vereinbart mit Mathilde einen Termin. Bevor es jedoch dazu kommen kann, hat Jacques wieder alle ihre Hoffnungen im Keim erstickt. Mathilde trifft eine Entscheidung …
„Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin“ ist ein Roman, auf den man sich einlassen muss und das geht am besten, wenn man ohne Erwartungen an ihn herantritt. Ich denke, für Nichtbetroffene ist es immer schwieriger das Handeln und Denken von Menschen wie Mathilde nachzuvollziehen. Die Autorin übertreibt und beschönigt auch nichts. Sie erzählt vielmehr auf eine zwar etwas nüchterne Art, die zugleich aber auch leise und gefühlvoll ist. Sie bringt die Verzweiflung, aber auch die Wut Mathildes sehr gut rüber. Als sie schildert, dass Mathilde ihren Chef am liebsten umbringen möchte und auch dass Mathilde sich wünscht, einen Unfall zu erleiden oder eine Krankheit zu bekommen, nur um einen Grund zu haben, nicht mehr zu Arbeit gehen zu müssen, das waren Gedanken, die ich sehr gut nachvollziehen konnte, weil ich selber in dieser Situation war.
Ja, es ist tatsächlich so: Man wünscht sich so krank zu werden, dass man nicht mehr arbeiten muss. Dabei ist man es schon. Der Grund ist schon vorhanden und man sieht ihn einfach nicht. Und dann dieser unbändige Hass und trotzdem ist diese Hilflosigkeit da. Mathilde ist einfach das typische Bild eines Mobbingopfers.
Der Leser sollte nicht vergessen, dass es sich hier um einen Roman handelt und nicht um einen Ratgeber. Wer hier Tipps erwartet, wie man mit so einem Problem umgeht, der wird enttäuscht werden. Ebenso wie manch einer vom Ende des Buches enttäuscht ist, weil da wieder die Erwartungen im Weg waren. Für mich war das Ende genau richtig und ich wäre enttäuscht gewesen, wenn es anders gewesen wäre.
Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig.
Ernst Reinhold Hauschka
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