Rehn, Heidi - Das Haus der schönen Dinge Abschnitt 5

Liebe Charlie,

für die Hinterbliebenen sind Selbstmorde furchtbar. So viele Fragen bleiben offen und vor allem immer: hätte man es verhindern können?

Manchmal denke ich, das Hirschvogl hat es gegeben. An der Stelle, an der ich es mir erdacht habe, klafft derzeit eine Lücke und deshalb enden meine Romanspaziergänge immer davor und ich sage, hier wird gerade wieder ein Hirschvogl erbaut. Oft sind Leute erstaunt, wenn ich sage, es gab es wirklich nicht. Dass viele es für echt halten, fasse ich als sehr schönes Kompliment.

Die Zeitsprünge mussten leider sein, sonst wäre aus dem Roman mein Lebenswerk geworden. Ich glaube, das hätte niemand in der Breite lesen wollen. Kürzen und sich auf Wesentliches beschränken hat auch Vorteile.

Sepp ist tot ... Franz ist tot ... Wenn ich sage, dass mich das traurig stimmt, muss ich lügen. Wobei Sepp sicher kein schlechter Mensch geworden wäre, hätte er nicht im ersten Weltkrieg an die Front gemusst. Ich habe schon viele Reportagen gesehen... Es muss Horror gewesen sein, was die Soldaten mitgemacht haben. Was muss im Körper passieren, um eine Zitterkrankheit auszulösen? Manchmal denke ich, dass es heute zu einfach ist, Krieg zu führen. Man drückt auf ein Knöpfchen und tausend Menschen sind tot. Müsste der Knöpfchendrücker seinen Opfern gegenüberstehen und ihnen in die Augen schauen, könnte er sie dann auch noch umbringen? Man weiß es nicht ... Einigen würde dies sicher noch Spaß machen ...

Theas Tod hingegen ist sehr traurig. Sie ist am Gram zerbrochen. So eine starke Frau und doch so zerbrechlich ...

Manchmal male ich mir aus, was aus Sepp hätte werden können, wenn er nicht so früh von Rudolf in die falsche Richtung gelenkt worden wäre. Das ist wohl auch das, was Benno sich am meisten vorwirft: er weiß, dass Sepp einen großen Bruder gebraucht hat, aber da war er selbst mit sich extrem beschäftigt und konnte nicht für ihn da sein. In die Lücke ist Rudolf ganz bewusst gesprungen.

Die Erscheinung der Kriegszitterer war in den 1920er Jahren ein großes Thema. Erstmals hat man erkannt, was der Krieg auch seelisch an Verletzungen/ Traumata auslöst. Und zugleich stand man dem sehr hilflos gegenüber. Man mag sich wirklich nicht vorstellen, was die Menschen in den SChützengräben erlebt haben. Es waren ganz andere Kriegserfahrungen als je zuvor und doch im Vergleich zu heute noch weitaus persönlicher, mit direktem Feindkontakt. Es muss die Hölle gewesen sein.
Heute scheint alles viel unpersönlicher, "leichter", wie Du schreibst. Aber ich denke, auch den berühmten "Knöpfchendrücker" befallen irgendwann mal die Bilder, was er angerichtet, wie viele Menschen er auf dem Gewissen hat. Das kann doch nicht spurlos an jemandem vorbeigehen. Das mag ich mir nicht vorstellen!

Da stimme ich dir zu. Man müsst schon ein sehr kaltes Herz haben, wenn so etwas spurlos an einem vorbei geht.

Wollen wir hoffen, dass die "kalten Herzen" wirklich nicht mehr an die Knöpfchen rankommen....

Hatte ich schon mal erwähnt, dass ich es liebe, in einem Buch alten Bekannten wiederzubegegnen? Ich habe mich sehr gefreut über die Figuren aus "Spiel der Hoffnung", die bei dem Vortrag waren.

Um Franz ist es wahrhaftig nicht schade. Er hat nicht nur ständig Lily betrogen, er war auch noch spielsüchtig und hat das Kaufhaus bestohlen.

Sepps Tod ist tragisch. Er hat sich zwar zu einem Unsympathen entwickelt, aber er war auch schwach und leicht zu manipulieren. Dann kamen auch noch die Nachwirkungen des Krieges dazu. Ich kann gut mit Benno und Thea mitfühlen.

Dass Thea gestorben ist, macht mich sehr traurig. Zum Schluss scheint sie sich ja wieder mit Jacob versöhnt zu haben. Edna tritt bestimmt mal in ihre Fußstapfen.

Stößt es eigentlich nur mir so sauer auf, dass Cäcilie sich wieder bei Lily einschleimt? Die Frau ist bei mir für alle Zeiten unten durch. Dieses scheinheilige Gesäusel, dass sie Lily immer beistehen wird. Da bin ich ja mal mächtig gespannt, ob sie sich 1933 daran noch erinnern kann.